In den vorherigen Beiträgen zu diesem Praxisbericht haben wir einen generellen Überblick zur Energiemanagement-Norm ISO 50001 und die konkreten Herausforderungen bei der Einführung eines Energiemanagementsystems nach ISO 50001:2018 gegeben. In diesem Beitrag widmen wir uns dem wichtigen Thema des Kontextes, in dem ein Energiemanagementsystem betrieben werden soll. Nur wenn der Kontext des Energiemanagementsystems in Bezug auf die Organisation bzw. das Unternehmen, in dem es wirken soll richtig verstanden wird, kann das Managementsystem auch seine Potentiale zur Kosteneinsparung, Energieeinsparung und zur CO2 Neutralität entfalten.
Nicht nur die Norm fordert gleich zu Beginn ein gutes Verständnis zu dem Kontext zu entwickeln, in welchem die Organisation ein Managementsystem einführen will. Gleich nach der Begriffsklärung heißt es in der ISO 50001:2018:
„4.1 Verstehen der Organisation und ihres Kontextes
Die Organisation muss externe und interne Themen bestimmen, die für ihren Zweck relevant sind und sich auf ihre Fähigkeit auswirken, das (die) beabsichtigte(n) Ergebnis(se) ihres EnMS zu erreichen und ihre energiebezogene Leistung zu verbessern.“
Auch GALLEHR+PARTNER® empfiehlt für den Aufbau eines wirksamen Managementsystems, sich gleich zu Beginn ein gutes Verständnis des gesamten Kontextes, in dem dieses System wirken soll, zu erarbeiten.
Zu Projektstart haben wir entsprechend mit dem Kunden einen ersten Zielworkshop durchgeführt. Moderiert durch GALLEHR+PARTNER® wurden im ersten Schritt die, über die Normkompatibilität herausgehenden Anforderungen und der Geltungsbereich des Energiemanagementsystems definiert.
Anwendungsbereich definieren
In der ISO 50003, der Unternorm also, welche die Anforderungen an Stellen, die Energiemanagementsysteme auditieren bzw. zertifizieren festschreibt, bekommt die Definition des Anwendungsbereichs ein besonderer Stellenwert. Unter 5.2 heißt es:
„5.2 Bestätigung des Geltungsbereichs der Zertifizierung:
Die Organisation muss den Anwendungsbereich und die Grenzen des EnMS festlegen, allerdings muss die Zertifizierungsstelle die Angemessenheit des Anwendungsbereichs und der Grenzen bei jedem Audit bestätigen.“
Die Anforderungen an den Anwendungsbereich haben sich im Vergleich zur bisherigen Normrevision bei der ISO 50001:2018 erweitert:
GALLEHR+PARTNER® Praxistip:
Um sich Änderungen regelmäßig zu vergegenwärtigen, empfehlen wir, den Anwendungsbereich jeweils innerhalb der jährlich zu erstellenden energetischen Bewertung zu beschreiben und ggf. zu aktualisieren.
Gerade dem neuen Aspekt der Kontrolle über Energieeffizienz kann nur Rechnung getragen werden, wenn er in Verbindung mit den Anforderungen der interessierten Parteien gemeinsam reflektiert wird.
Interessierte Parteien
Die Normanforderung „Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien“ ist vielen Unternehmen aus dem Umweltmanagement Bereich bekannt. Die ISO 140001:2015 fordert hier auch ein vergleichbares Verständnis.
Sollte eine entsprechende Dokumentation im Umweltmanagement vorhanden sein, sollte sie unter den Energiegesichtspunkten noch einmal reflektiert und gegebenenfalls ergänzt werden. Wenn allerdings in den Unternehmen keine entsprechenden dokumentierten Erkenntnisse vorhanden sind, empfiehlt GALLEHR+PARTNER® die Erarbeitung einer Matrix zur Dokumentation.
Neben der Benennung der Partei und der Beschreibung, in welcher Beziehung die Partei zu der Organisation steht, sollte die Matrix zwei weitere Ebenen beschreiben. Einerseits sollten hier gleich die Risiken und die Chancen aller Aspekte reflektiert werden und anderseits die daraus resultierende Relevanzbewertung.
Die Relevanzbewertung der interessierten Parteien ermöglicht es dem Energiemanager im Folgenden eine Priorisierung der Parteien vorzunehmen. Er kann damit dann bei der Kommunikation den Fokus auf die relevantesten Partien legen. Sie sollte separat in zwei Richtungen erfolgen. Einerseits hat die Partei häufig einen Einfluss auf die Verbesserung der energiebezogenen Leistung. Anderseits hat aber das Energiemanagementsystem häufig auch Einfluss auf die interessierte Partei.
Diese beiden Einflussgrößen können sich stark unterscheiden, deshalb empfiehlt GALLEHR+PARTNER® diese einzeln zu bewerten um eine unabhängige Priorisierung vornehmen zu können.
GALLEHR+PARTNER® Praxistip:
Zu jeder Partei können im Zuge der Erstellung der Matrix auch Maßnahmen definiert werden, welche das Potential haben, die identifizierten Risiken zu reduzieren und die Chancen zu entwickeln.
Rollen und Verantwortlichkeiten
Die ISO 50001:2018, fordert in Kapitel 5.3:
„5.3 Rollen, Verantwortlichkeiten und Befugnisse in der Organisation:
„Die oberste Leitung muss sicherstellen, dass die Verantwortlichkeiten und Befugnisse für relevante Rollen zugewiesen und innerhalb der Organisation bekannt gemacht werden.“
Es empfiehlt sich schon in dieser frühen Phase des Aufbaus eines Energiemanagementsystems ein erstes Verständnis für die zukünftigen Rollen und Verantwortlichkeiten zu entwickeln. Für ein strukturiertes Vorgehen dafür, sollte hier auch wieder eine Matrix entwickelt werden. Die Verantwortungsmatrix, die im Folgenden dann Bestandteil der gelenkten Energiemanagementbeschreibung sein, oder aber auch eigenständig als gelenktes Dokument weiter gepflegt werden kann, erfüllt zusätzlich auch die Anforderung nach ISO 50001:2018 Kapitel 7.4 Kommunikation:
Die Organisation muss die interne und externe Kommunikation in Bezug auf das EnMS bestimmen, einschließlich: a) worüber kommuniziert wird; b) wann kommuniziert wird; c) mit wem kommuniziert wird; d) wie kommuniziert wird; e) wer kommuniziert.“
Energierelevante Prozesse definieren
Alle Tätigkeitsbereiche, die innerhalb des betrachteten Geltungsbereichs (Systemgrenze) durchgeführt werden, sollten in energierelevante Prozesse aufgeteilt werden. Die Prozesse und die Abgrenzung zueinander werden daraufhin beschrieben und jeweils aktualisiert. Auf Basis der energierelevanten Prozesse werden dann die Energieleistungskennzahlen (EnPi) und die Hauptenergieverbraucher (Significant Energy Users, SEU) definiert.
GALLEHR+PARTNER® Praxistip:
Auch wenn es häufig schwer fällt, empfehlen wir die Definition von maximal 5 energierelevanten Prozessen. Sollten mehr Prozesse definiert werden, verliert die energetische Bewertung erheblich an Übersichtlichkeit.
Betrachtungszeitraum festlegen
Die ISO 50001 verlangt, den früheren und aktuellen Energieeinsatz und -verbrauch zu bewerten. Als Angemessener Zeitraum wird in aller Regel der Jahresenergieeinsatz herangezogen. Dieser bildet dann die erste energetische Ausgangsbasis für das Energiemanagementsystem. Es ist aber darauf zu achten, dass die Bewertung mit einem vergleichbaren früheren Zeitraum möglich ist.
Sollte das Energiemanagementsystem aber zu einem Zeitpunkt eingeführt werden, an dem noch kein Energieeinsatz vorhanden ist, oder sich das System in der Anlaufphase befindet, kann für die energetische Erstbewertung auch ein definierter Planungsstand herangezogen werden. In diesem Fall ist aber eine ausführliche Beschreibung und Dokumentation des Planungsstands erforderlich, damit die folgende energetische Bewertung, die dann schon mit realen Energieflüssen erfolgen muss, mit dieser theoretischen energetischen Ausgangsbasis verglichen werden kann.
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