Tragweite des EU Clean Industrial Deals für europäische Unternehmen

Mit dem EU Clean Industrial Deal, kurz CID, unternimmt die EU-Kommission einen ehrgeizigen und notwendigen Schritt, die Leitlinien des European Green Deals um den Faktor Wettbewerbsfähigkeit zu ergänzen. Die EU-Initiative soll dabei Grundlage für eine resiliente, klimaneutrale und wettbewerbsfähige Wertschöpfung in Europa sein. Weiterhin sind die EU-Treibhausgasziele für die Jahre 2030, 2040 und 2050 als Zielgröße im CID festgelegt. Zur Erreichung dieser Ziele rückt die Sicherstellung wettbewerbsfähiger Energiepreise, die Förderung der Kreislaufwirtschaft, die Etablierung grüner Leitmärkte und die Erschließung öffentlicher und privater Investitionen in den Mittelpunkt. 

Inwiefern der CID als strategische (Neu-)Ausrichtung für die EU-Industrie gewertet werden kann, möchten wir in dem folgenden Beitrag für Sie ausarbeiten. Hierfür wurden die zentralen Bestandteile des CID analysiert.


Zitat:
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission:
„Wir haben die einmalige Gelegenheit, mit Tempo, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit den Weg zu ebnen und Vorreiter bei CO₂-neutralen Technologien – in einem schnell wachsenden Sektor – zu werden. Europa will bei der Cleantech-Revolution eine Führungsrolle übernehmen. Für Mensch und Industrie heißt das, Fertigkeiten schnell in vernünftige Arbeitsplätze münden und Innovationen unbürokratisch in Serie gehen zu lassen. […]”
https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/european-green-deal/green-deal-industrial-plan_de


1. Aktionsplan für bezahlbare Energie

Als Teil des CID zielt der Aktionsplan für bezahlbare Energie auf eine kurzfristige Senkung der Energiepreise, insbesondere für energieintensive Industrien. Dazu setzt der CID auf langfristige Stromlieferverträge durch Power Purchase Agreements, kurz PPA und die Flexibilisierung der industriellen Stromnachfrage. Mittelfristig soll der CID verstärkte Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz, die Modernisierung der Strom- und Gasinfrastruktur sowie die Integration des europäischen Strommarktes fördern. Gleichzeitig soll der Zugang zu sauberer Energie für Unternehmen erleichtert werden, etwa durch schnellere Genehmigungsverfahren für grüne Projekte oder spezielle Förderprogramme. Ein besonderes Augenmerk legt der CID auf die Diversifizierung der Energiequellen, um die Abhängigkeit von fossilen Importen zu verringern. Dazu adressiert der CID beispielsweise den Gasmarkt als wesentlichen Treiber der Stromkosten.

Der Aktionsplan soll sowohl Versorgungssicherheit als auch Klimaschutz gewährleisten und damit eine zentrale Grundlage für eine nachhaltige industrielle Transformation schaffen. Laut EU-Kommission lassen sich durch den Aktionsplan bis 2025 jährliche Einsparpotenziale von insgesamt 45 Mrd. Euro abschätzen, die bis 2030 schrittweise auf 130 Mrd. Euro und bis 2040 auf 260 Mrd. Euro pro Jahr ansteigen.

2. Grüne Leitmärkte

Mit den „Grünen Leitmärkten“ setzt der CID ein Zeichen für klimafreundliche Produkte und Technologien. Ziel ist es, Innovationen im Bereich Nachhaltigkeit zu beschleunigen und skalierbare Märkte für kohlenstoffarme Produkte aus Europa zu schaffen. Dies soll dadurch erreicht werden, dass klimafreundliche Produkte, die in der Regel höhere Produktionskosten haben, durch eine gesicherte Nachfrage mit höherer Zahlungsbereitschaft ein „grünes Premium“ generieren können. Dies soll durch die Verknüpfung privater und öffentlicher Ausgaben mit den Dekarbonisierungs- und Wettbewerbszielen der EU erreicht werden. Mögliche Produkte für „grüne Leitmärkte“ sind grüner Stahl, emissionsarme Chemikalien, nachhaltige Baustoffe und recycelbare Materialien.

Insbesondere der öffentlichen Hand kommt hier eine besondere Rolle zu, weshalb langfristig ein Rahmenwerk für Nachhaltigkeits- und Local-Content-Kriterien etabliert werden soll, das als Leitlinie für Beschaffungsstrategien zu verstehen ist. Für den privaten Konsum bzw. die energieintensive Industrie sollen neue Förderanreize, aber auch neue Produktregulierungen eine nachhaltigere Produktion und Beschaffung fördern. Dazu soll z.B. der angekündigte Industrial Decarbonisation Accelerator Act (IDAA) Nachhaltigkeits- und Resilienzkriterien einführen und zusätzlich ein Label zur Kennzeichnung der Kohlenstoffintensität etablieren. Die Daten für dieses Label sollen auf dem europäischen Emissionshandelssystem EU-ETS basieren und keine zusätzliche Berichterstattung der Unternehmen erfordern.

Grüne Leitmärkte gelten als Schlüssel, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industrieunternehmen zu erhalten und gleichzeitig Umwelt- und Klimaziele zu erreichen.

3. Kreislaufwirtschaft

Angesichts der volatilen Preisentwicklung von (Primär-)Rohstoffen in den letzten Jahren betont der CID deutlich die Notwendigkeit, Materialien und Produkte so lange wie möglich im Wirtschaftskreislauf zu halten, um sie als (Sekundär-)Rohstoffe nutzen zu können. Neu am CID ist die starke und offensive Kommunikation, die Kreislaufwirtschaft als geostrategisches Element zu nutzen, um Europa gegenüber ressourcenintensiven Volkswirtschaften wie China oder den USA unabhängiger und innovativer zu machen. Dementsprechend setzt sich die CID das Ziel, die Europäische Union bis 2030 als Weltmarktführer in der Kreislaufwirtschaft zu positionieren.

Im Wesentlichen soll die Kreislaufwirtschaft Wiederverwendung, Reparatur, Recycling und nachhaltiges Design zur Norm machen. Während der CID einen starken Fokus auf Recyclingaspekte legt, werden höherwertige R-Strategien wie Re-Use und Re-Manufacturing jedoch weitgehend vernachlässigt. Der Circular Economy Act, der für 2026 geplant ist, wird diese Aspekte berücksichtigen müssen.

4. Private und öffentliche Investitionen

Um die Klimaziele 2050 und damit die grüne industrielle Transformation zu erreichen, sind erhebliche Investitionen sowohl von privaten als auch von öffentlichen Akteuren notwendig. Der CID unterstreicht in diesem Zusammenhang die Ziele des 2019 verabschiedeten EU Green Deal und beziffert den hierfür notwendigen jährlichen Finanzierungsbedarf auf 480 Milliarden Euro. Diese Investitionen sollen vor allem in den Bereichen Energie, Industrie und Verkehr getätigt werden.
Um die notwendigen Finanzmittel effektiv zu mobilisieren, macht der CID eine Reihe von Vorschlägen:

  • Einrichtung der Industrial Decarbonisation Bank – 100 Mrd. € Finanzierungskapital
  • Weiterführung des EU-Innovationsfonds – 6 Mrd. € für das Jahr 2025
  • Spezifische EU-Horizont-Ausschreibungen – 600 Mio. € für die Jahre 2026 und 2027
  • Erhöhung der Risikotragfähigkeit von InvestEU
  • Vereinfachung der IPCEIs (Important Projects of Common European Interest)

Darüber hinaus wurde die Überarbeitung des europäischen Beihilferechts angekündigt, um vereinfachte Regeln für staatliche Subventionen einführen zu können. Hintergrund ist das Auslaufen des derzeitigen Beihilferahmens („Temporary Crisis and Transition Framework“). Künftig sollen schnellere Genehmigungen und mehr Unterstützung unter anderem für Cleantech-Produkte möglich sein. Darüber hinaus empfiehlt der CID den EU-Mitgliedstaaten, steuerpolitische Änderungen zur Förderung grüner Investitionen umzusetzen. Genannt werden beispielsweise die Abschaffung fossiler Subventionen, eine Reform der Körperschaftssteuer, verkürzte Abschreibungsfristen, Steuergutschriften und Steueranreize.

5. Globale Märkte und internationale Partnerschaften

Der CID sieht den industriellen Wandel nicht isoliert auf europäischer Ebene, sondern eingebettet in die globalen Märkte. Dies ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, da die EU ihre Ziele für eine nachhaltige Produktion nicht ohne Partnerschaften auf globaler Ebene erreichen kann. Aus diesem Grund sieht der CID den Aufbau von „Clean Trade and Investment Partnerships“ (CTIPs) mit Drittstaaten vor. Diese Partnerschaften sollen in Form von pragmatischen Kooperationen die globale Dekarbonisierung vorantreiben, strategische Abhängigkeiten reduzieren und gezielte Investitionen in saubere Technologien fördern. Als wichtigen Faktor nennt der CID dabei die Etablierung von gleichberechtigten Partnerschaften, so dass die Interessen der Partnerländer ausreichend berücksichtigt werden.

Neben den CTIPs kündigt der CID eine vielfach geforderte Überarbeitung des CO₂-Grenzausgleichssystems (CBAM) für betroffene Länder und Unternehmen an. Inhaltlich soll der Fokus auf große Importeure mit hohen Emissionen gelegt werden, mit dem Ziel, den bürokratischen Aufwand für eine Mehrheit der betroffenen Unternehmen zu reduzieren, ohne die Wirksamkeit des Instruments wesentlich zu beeinträchtigen. Der CID kündigt aber auch an, weitere Produktionsgüter und indirekte Emissionen in den CO₂-Grenzausgleich einzubeziehen.

6. Soziale Gerechtigkeit & Just Transition

Der CID legt großen Wert auf die Berücksichtigung eines sozialverträglichen Strukturwandels. Daher soll besonders betroffenen Regionen und Berufsgruppen der Zugang zu einem resilienten (Weiter-)Bildungssystem und weiteren Unterstützungsangeboten gewährleistet werden. Darüber hinaus soll eine „Europäische Beobachtungsstelle für einen gerechten Übergang” den Dialog mit gesellschaftlichen Akteuren, regionalen und lokalen Behörden suchen und den Kontakt zur Zivilgesellschaft verbessern. Insgesamt versuchen die Autoren des CID innerhalb des Kapitels „Soziale Gerechtigkeit & Just Transition“ Vertrauen in den Wandel zur Klimaneutralität zu schaffen. Dabei wird die These aufgestellt: Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt kann Hand in Hand gehen.


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